Berechnung der Betriebsrente bei vorgezogener Inanspruchnahme nach vorzeitigem Ausscheiden
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat u.a. zwei Entscheidungen getroffen, die sich mit dem Thema der Berechnung einer Betriebsrente bei vorgezogener Inanspruchnahme nach vorzeitigem Ausscheiden beschäftigen. Im Folgenden stellen wir Ihnen beide Urteile mit ihren Auswirkungen kurz vor:
1. BAG, Urteil vom 19.04.2011 (3 AZR 318/09)
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 19.04.2011 (3 AZR 318/09) entschieden, dass bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis und einer später folgenden vorgezogenen Inanspruchnahme einer Betriebsrente keine doppelte Kürzung (zeitratierliche Kürzung der fiktiven Vollrente wegen des vorzeitigen Ausscheidens und „untechnischer versicherungsmathematischer Abschlag“ wegen vorgezogener Inanspruchnahme) vorzunehmen ist, wenn in der Versorgungszusage die vorgezogene Altersrente durch eine Staffelung der Rentenhöhe nach oben berücksichtigt wird.
Sachverhalt
Die Klägerin war seit 1978 bei der Beklagten beschäftigt und erhielt eine Versorgungszusage, die bei Erreichen des 65. Lebensjahres eine Altersrente von 75 % der zuletzt bezogenen Dienstbezüge abzüglich der gesetzlichen Rente vorsieht. Bei einer vorgezogenen Inanspruchnahme greift eine Staffelung ein, die ab dem 40. bis zum 65. Lebensjahr eine jährliche Steigerung der Rente bestimmt. Auch in diesem Fall wird die gesetzliche Rente angerechnet. Bereits im Alter von 56 Jahren schied die Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis aus. Mit 61 Jahren erhielt sie eine vorgezogene gesetzliche Altersrente und bezieht seitdem ebenfalls eine Betriebsrente. Diese errechnete die Beklagte aus 75 % der Dienstbezüge abzüglich der auf das 65. Lebensjahr hochgerechneten gesetzlichen Altersrente. Diesen Anspruch kürzte sie sodann ratierlich wegen des vorzeitigen Ausscheidens und zusätzlich wegen der vorgezogenen Inanspruchnahme. Die Klägerin verlangte die Zahlung einer erhöhten Rente. Nach der Staffelung ergäbe sich für sie ein Anspruch auf 65 % ihres letzten Gehaltes abzüglich der tatsächlich gezahlten vorgezogenen gesetzlichen Rente.
Entscheidung
Die Revision der Klägerin war teilweise erfolgreich. Das BAG sprach ihr eine etwas höhere Rente zu, da es der Berechnungsweise der Beklagten in Form der zweimaligen Kürzung nicht zustimmte. Dagegen bestätigte das BAG, dass die gesetzliche Rente in Höhe der fiktiven auf die Altersgrenze von 65 Jahren hochgerechneten Vollrente abzuziehen sei.
Die Berechnung einer vorgezogenen Altersrente ist nicht direkt im BetrAVG geregelt, so dass es grundsätzlich einer Regelung in der Versorgungszusage bedarf. Im vorliegenden Fall sah die Versorgungszusage für den Fall der vorzeitigen Inanspruchnahme eine Staffelung der Betriebsrente mit steigender Betriebszugehörigkeit vor. Diese Regelung gilt jedoch nur für den Fall, dass der Arbeitnehmer bis zum vorgezogenen Ruhestand tätig ist. Im Übrigen verweist die Versorgungszusage auf das BetrAVG. Damit gilt § 2 BetrAVG für die Berechnung, da eine Regelung für den Fall des vorzeitigen Ausscheidens fehlt. Das BAG bestätigt, dass sich in der Regel im Falle der vorgezogenen Inanspruchnahme der Betriebsrente nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalles nach den allgemeinen Grundsätzen des Betriebsrentenrechts eine Berechtigung zur Kürzung der Rente unter zwei Gesichtspunkten ergibt. Zum einen erfolge die zeitratierliche Kürzung der bei Betriebszugehörigkeit bis zur festen Altersgrenze erreichbaren fiktiven Vollrente im Verhältnis zur tatsächlich erreichten Betriebszugehörigkeit. Diese Kürzung sei auch vorliegend bei der Berechnung der Betriebsrente der Klägerin vorzunehmen. Zum anderen sei der sogenannte „untechnische versicherungsmathematische Abschlag“ entwickelt worden, der einen Abzug vorsehe, der die Differenz zwischen der vorzeitigen Inanspruchnahme und der festen Altersgrenze berücksichtigen solle. Dieser Abschlag komme als Auffangregelung jedoch nur zur Anwendung, wenn die Versorgungszusage keinerlei Wertung bezüglich der vorgezogenen Inanspruchnahme enthalte. Im vorliegenden Fall sieht die Versorgungszusage eine aufsteigende Staffelung vor, die sich jedoch nur auf die Inanspruchnahme bei Ausscheiden mit Eintritt des Versorgungsfalles bezieht (und daher nicht zur Anwendung kommt). Diese Regelung sei abschließend und konnte von der Klägerin nur so verstanden werden, dass lediglich eine Staffelung gelte, nicht jedoch weitere Abschläge vorgenommen würden. Daher müsse die Wertung der Regelung auch für die Inanspruchnahme der Rente nach Ausscheiden vor Eintritt des Versorgungsfalles gelten. Eine zweite Kürzung des Anspruchs komme daher nicht in Betracht.
Bewertung
Mit dieser Entscheidung ist das BAG zum ersten Mal von den seit 2001 neu entwickelten Grundsätzen zur Berechnung vorgezogener Altersrenten nach vorzeitigem Ausscheiden abgewichen. Dies führt jedoch zu keinem sachgerechten Ergebnis, da die vom Arbeitgeber in der Versorgungszusage durch die Staffelung zum Ausdruck kommende erkennbare Kürzungsabsicht im Falle einer vorgezogenen Inanspruchnahme der Rente nunmehr gar nicht zum Tragen kommt. Das BAG ignoriert mit dieser Entscheidung die eindeutige Wertung der Versorgungsregelung. Die Klägerin erhält letztendlich die bezogen auf das Alter 65 ermittelte Rente, die sie sich durch ihre Betriebszugehörigkeit erdient hat, bereits mit 61 und damit 4 Jahre länger. Es bleibt abzuwarten, ob es sich vorliegend lediglich um eine Einzelfallentscheidung handelt. Um jedoch Problemfälle zu vermeiden, ist dringend zu empfehlen, in Versorgungszusagen immer auch eine ausdrückliche Regelung für den Fall der vorgezogenen Inanspruchnahme einer Betriebsrente nach vorzeitigem Ausscheiden aufzunehmen.
2. BAG, Urteil vom 19.06.2012 (3 AZR 289/10)
Das BAG hat mit Urteil vom 19.06.2012 bestätigt, dass sich im Falle der vorgezogenen Inanspruchnahme einer Betriebsrente nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalles in der Regel eine Berechtigung zur Kürzung der Betriebsrente unter zwei Gesichtspunkten (zeitratierliche Kürzung und „untechnischer versicherungsmathematischer Abschlag“) ergibt. Dies gelte auch für Versorgungszusagen, die eine Gesamtversorgungsobergrenze vorsehen.
Sachverhalt
Die Klägerin war im Alter von 57 Jahren aus dem Betrieb der Beklagten ausgeschieden. Im Jahre 2002 bezog sie mit 60 Jahren ihre vorzeitige Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und beantragte die Gewährung ihrer betrieblichen Altersrente aus der ihr erteilten Versorgungszusage. Diese enthält keine Regelung zur Rentenhöhe bei vorzeitiger Inanspruchnahme, lediglich für das Ausscheiden mit einem unverfallbaren Anspruch wird auf die Regelungen des Betriebsrentengesetzes verwiesen. Die Beklagte berechnete diese Rente unter Abzug der gemäß der Versorgungszusage zu berücksichtigenden Rente der gesetzlichen Rentenversicherung (BfA) und der gleichfalls zu berücksichtigenden Rente eines Versorgungsverbandes (VBLU) in der Höhe, die sie fiktiv zum Zeitpunkt des Ausscheidens im Alter von 65 Jahren im Mai 2007 erreicht hätten. Weiterhin nahm sie eine zeitratierliche Kürzung gemäß § 2 BetrAVG (auf den Zeitpunkt des Austritts) und eine weitere Kürzung unter Vornahme des sogenannten untechnischen versicherungsmathematischen Abschlags (als Ausgleich für die vorgezogene Inanspruchnahme) vor. Die Klägerin beantragte, dass die Renten der BfA und der VBLU nur in der Höhe berücksichtigt werden dürfen, die sie zum Zeitpunkt der tatsächlichen Inanspruchnahme 2002 hatten und dass lediglich eine Kürzung gemäß § 2 BetrAVG vorgenommen werden dürfe.
Entscheidung
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Gemäß den Regelungen der Versorgungszusage durfte die Betriebsrente und die Leistungen der BfA und VBLU zusammen 75 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes nicht übersteigen. Für diese Anrechnung maßgeblich ist die fiktive – auf die feste Altersgrenze hochgerechnete – Rente und nicht die tatsächlich erhaltene Rente. Weiterhin durfte die Kürzung unter beiden oben genannten Gesichtspunkten erfolgen. Auf Versorgungszusagen wie die vorliegende, die eine Gesamtversorgungsobergrenze vorsehen, seien die Grundsätze zur Berechnung der Betriebsrente bei vorgezogener Inanspruchnahme nach vorzeitigem Ausscheiden anwendbar.
Bewertung
Dieses Urteil stellt eine konsequente Fortführung der bisherigen Rechtsprechung dar. In seinen bisherigen Entscheidungen hatte das BAG offen gelassen, ob die Grundsätze zur zweimaligen Kürzung auch auf Gesamtversorgungszusagen anwendbar sind. Vorliegend hat der Senat nun entschieden, dass jedenfalls für Versorgungszusagen, die eine Gesamtversorgungsobergrenze im Rahmen der Erstberechnung einer Rente bestimmen, eine Übertragung der Grundsätze stattfindet. Dennoch bleibt zu beachten, dass bei Versorgungsordnungen, die keine Regelung zu einer möglichen Kürzung aufgrund der vorzeitigen Inanspruchnahme vorsehen, weiterhin zunächst im Wege der Auslegung zu prüfen sind, ob eine Wertung zu dieser Frage enthalten ist (vgl. BAG Urteil vom 19.04.2011, 3 AZR 318/09).
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