Bundesarbeitsgericht korrigiert seine Rechtsprechung zur gespaltenen Rentenformel
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seiner Entscheidung vom 23.04.2013 (3 AZR 475/11) seine umstrittene Rechtsprechung zu Versorgungsregelungen, die für den Teil des versorgungsfähigen Einkommens oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) höhere Versorgungsleistungen vorsehen als für den darunterliegenden Teil (sog. gespaltene Rentenformel) korrigiert. Im Jahr 2003 war die monatliche BBG zur Steigerung des Beitragsaufkommens in der Sozialversicherung außerplanmäßig um € 500 angehoben worden. Daraufhin hatte das BAG in zwei Entscheidungen 2009 festgestellt, dass Versorgungsregelungen mit gespaltener Rentenformel durch die außerplanmäßige Anhebung der BBG lückenhaft geworden sind. Die vermeintliche Lücke schloss das BAG, indem es die Versorgungsleistungen mit einer fiktiven um € 500 reduzierten BBG ermittelte und die wegen des BBG-Sprungs höheren Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung gegenrechnete. Diese Rechtsprechung ist in der Literatur einhellig kritisiert worden und auch einige Landesarbeitsgerichte folgten der Rechtsprechung des BAG nicht. Nun hatte das BAG erneut Gelegenheit sich mit den Auswirkungen des BBG-Sprungs auf Versorgungsregelungen mit gespaltener Rentenformel zu befassen und seine umstrittene Rechtsprechung zu korrigieren.
Sachverhalt
Der 1946 geborene Kläger war vom 01.01.1994 bis zum 31.12.2005 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Seit 01.01.2006 bezog der Kläger von der Beklagten eine vorgezogene Betriebsrente in Höhe von monatlich € 670,51. Infolge des BBG-Sprungs im Jahr 2003 hatte sich die Betriebsrentenanwartschaft des Klägers um monatlich € 58,83 verringert. Mit seiner Klage begehrte der Kläger unter Berufung auf die Urteile des BAG vom 21.04.2009, seine Altersrente ohne Berücksichtigung des BBG-Sprungs im Jahr 2003 zu berechnen. Die Versorgungsregelung sei durch die außerplanmäßige Anhebung der BBG lückenhaft geworden. Die Lücke sei im Wege der ergänzenden Auslegung dahingehend zu schließen, dass die vorgezogene Altersrente unter Außerachtlassung der außerplanmäßigen Anhebung der BBG berechnet werde und von dem so errechneten Betrag seien die Beträge in Abzug zu bringen, um die sich seine gesetzliche Rente infolge höherer Beitragszahlungen erhöht hat.
Entscheidung
Das BAG hat seine bisherige Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben. Unabhängig davon, ob die Versorgungsregelung durch den BBG-Sprung überhaupt lückenhaft geworden sei, kommt eine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend, dass die Betriebsrente so zu berechnen ist, als wäre die außerplanmäßige Anhebung der BBG nicht erfolgt, jedenfalls nicht in Betracht. Dieser ergänzenden Auslegung steht entgegen, dass mehrere gleichwertige Möglichkeiten zur Lückenschließung bestehen. Ein Anspruch auf Zahlung einer höheren Betriebsrente wegen der außerplanmäßigen Anhebung der BBG im Jahr 2003 kann sich allenfalls nach den Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ergeben. Nach § 313 Absatz 1 BGB kann eine Vertragsanpassung verlangt werden, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Eine Vertragsanpassung kommt aber nur dann in Betracht, wenn einem Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Daran fehlt es nach Auffassung des BAG im Fall des Klägers, denn die durch den BBG-Sprung verursachte Versorgungseinbuße des Klägers von ca. 8 % ist nicht so schwerwiegend, dass ihm ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar wäre.
Bewertung
Mit dieser Entscheidung gibt das BAG seine umstrittene Rechtsprechung zu den Auswirkungen des BBG-Sprungs auf Versorgungsregelungen mit gespaltenen Rentenformeln auf. Relevant ist die Kehrtwende des BAG insbesondere für Unternehmen, die die Rechtsprechung aus dem Jahr 2009 umgesetzt haben. Eine Korrektur des BBG-Sprungs ist nur über die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage möglich. Es bleibt jedoch offen, wann die Opfergrenze erreicht ist, ab der einem Betriebsrentner das Festhalten am Vertrag unzumutbar ist. In den am gleichen Tag entschiedenen fünf weiteren Fällen (3 AZR 531/11, 3 AZR 23/11, 3 AZR 24/11, 3 AZR 512/11 und 3 AZR 513/11) betrugen die durch den BBG-Sprung verursachten Versorgungseinbußen maximal 15 %.
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