Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Rentnerscheidung im Versorgungsaugleich
Der BGH hat in seinem Beschluss vom 17.02.2016 unter anderem entschieden, dass bei der sogenannten „Rentnerscheidung“ der Ausgleichswert zeitnah zur Entscheidung über den Versorgungsausgleich oder vorausschauend auf den Zeitpunkt der mutmaßlichen Rechtskraft zu ermitteln ist (XII ZB 447/13).
Sachverhalt
Der Antragsteller (Ehemann) und die Antragstellerin (Ehefrau) schlossen am 27.08.1969 die Ehe, die am 17.8.2012 durch Verbundentscheidung geschieden wurde. Der Ehemann bezieht seit dem 01.03.2012 sowohl eine gesetzliche als auch eine betriebliche Rente.
Der Ehemann hatte während der Ehezeit neben Anrechten der gesetzlichen Rentenversicherung auch betriebliche Anrechte bei einer Pensionskasse und einer Unterstützungskasse erworben. Diese Versorgungsträger haben den Ehezeitanteil als Kapitalwert angegeben, zunächst für den „Anwärter“ zum Stichtag Ehezeitende (31.07.2000) und im weiteren Verlauf nach Beginn des Rentenbezugs als „Altersrentner“ zum 01.05.2012. Bei dieser zweiten Auskunft sind die nachehezeitliche vertragliche Verzinsung von 4 %, die nachehezeitlich erfolgte Überschussbeteiligung sowie die zu diesem Zeitpunkt bereits erbrachten Renten berücksichtigt. Das Familiengericht hat die betroffenen Anrechte intern auf der Grundlage dieser zweiten Auskunft geteilt.
Gegen diese Entscheidung legte der Ehemann Beschwerde ein, die vom OLG abgewiesen wurde. Über die daraufhin eingelegte Rechtsbeschwerde hatte nun der BGH zu entscheiden.
Entscheidung
Die Entscheidung des OLG hält der rechtlichen Überprüfung des BGH nicht in allen Punkten stand. Bestätigt hat der BGH zunächst, dass auch die Überschussanteile, bestehend aus Schlussüberschüssen und Bewertungsreserven, in den Wertausgleich einzubeziehen sind.
Zu Unrecht habe das OLG jedoch angenommen, dass der laufende nachehezeitliche Rentenbezug nicht zu berücksichtigen sei. Es liege zwar keine gemäß § 5 Absatz 2 Satz 2 VersAusglG zu berücksichtigende Änderung vor, die auf die Ehezeit zurückwirke. Der BGH kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass das Anrecht jedenfalls dann nicht ungekürzt ausgeglichen werden könne, wenn der noch bestehende Barwert unter den Barwert bei Ehezeitende gesunken sei. Genauso wie im Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung nur noch die vorhandenen Anrechte ausgeglichen werden können, kann auch nur noch dasjenige unter den Ehegatten geteilt werden, was als Deckungskapital noch vorhanden ist.
Das Familiengericht habe daher den Versorgungsträger aufzufordern, den Ausgleichswert anhand des noch vorhandenen „(Rest-) Kapitalwerts“ zeitnah zur Entscheidung über den Versorgungsausgleich oder vorausschauend auf den Zeitpunkt der mutmaßlichen Rechtskraft nochmals zu ermitteln. Dies begründet er damit, dass eine übermäßige Inanspruchnahme ein unzulässiger Eingriff in die grundgesetzlichen Rechtsgarantien des privaten Versorgungsträgers darstellen würde. Gleichzeitig dürfe die Verringerung des Ausgleichswerts auch nicht einseitig zu Lasten des Ausgleichsverpflichteten gehen, da hierin ein Verstoß gegen den Halbteilungsgrundsatz läge.
Wird während des Verfahrens eine Rente bezogen, ist demnach eine Neuberechnung unter Berücksichtigung der erfolgten Zahlungen und der neuen biometrischen Grundlagen auf einen zeitnah zur Entscheidung liegenden Zeitpunkt vorzunehmen. Anschließend ist die Differenz zur ersten Berechnung zu ermitteln. Diese Differenz könnte dadurch ausgeglichen werden, dass die Rente in die Berechnung eines Trennungsunterhaltes oder eines nachehelichen Unterhalts einfließt. Ist dies jedoch nicht der Fall, könnte eine Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes vorliegen. Dies kann nach Ansicht des BGH gelöst werden, indem Anrechte des Ausgleichsberechtigten ganz oder teilweise in entsprechender Höhe gemäß § 27 VersAusglG vom Versorgungsausgleich ausgenommen werden. Bestehen solche Anrechte nicht, könnte eine Vereinbarung der Eheleute über eine schuldrechtliche Ausgleichsrente geschlossen werden.
Abschließend stellt der BGH fest, dass die für versicherungsförmige Durchführungswege gemachten Ausführungen genauso für die Durchführungswege Unterstützungskasse und Direktzusage gelten.
Bewertung
Es ist erfreulich, dass endlich eine Entscheidung zu der höchst umstrittenen Problematik der „Rentnerscheidung“ ergangen ist. Allerdings musste auch der BGH feststellen, dass es keine einfache Lösung gibt. Dementsprechend beantwortet die Entscheidung auch noch nicht alle offenen Fragen. Positiv ist in jedem Fall hervorzuheben, dass der BGH eine Mehrbelastung der Versorgungsträger ablehnt und grundsätzlich davon ausgeht, dass nur das zum Zeitpunkt der Entscheidung noch Vorhandene ausgeglichen werden kann.
Der Beschluss fordert die Familiengerichte auf, die Minderung des Ausgleichswerts aufgrund laufender Rentenzahlungen zu berücksichtigen und dabei die Wahrung des Halbteilungsgrundsatzes mithilfe der vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten, beispielsweise durch Anwendung von § 27 VersAusglG, sicherzustellen. Der Versorgungsträger kann hier kaum Einfluss nehmen. Zur Wahrung seiner Interessen sollte der Versorgungsträger jedoch darauf achten, dass eine Neuberechnung des Ausgleichswerts zeitnah zur Rechtskraft der Entscheidung erfolgt. Es empfiehlt sich einen entsprechenden Hinweis auf die Notwendigkeit einer Neuberechnung bereits in die Erstauskunft aufzunehmen. Im Zweifel ist jedenfalls eine enge Abstimmung mit dem Gericht notwendig.
Stuttgart, den 09.05.2016
Diesen Artikel stellen wir Ihnen auch als PDF-Download zur Verfügung: