Ablösung einer Gesamtzusage
Mit Urteil vom 10.03.2015 (3 AZR 56/14) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass ein Arbeitgeber, der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung im Wege einer Gesamtzusage verspricht, regelmäßig eine Versorgung nach den jeweils bei ihm geltenden Versorgungsbedingungen zusagt. Eine solche Zusage nach den jeweils geltenden Versorgungsregeln erfasst alle Regelungen, mit denen betriebliche Altersversorgung gestaltet werden kann, und eröffnet damit auch die Möglichkeit für eine Ablösung auf kollektivrechtlicher Grundlage durch Betriebsvereinbarung. Diese Aussage wurde in zwei weiteren aktuellen Urteilen des BAG vom 23.02.2016 bestätigt (3 AZR 960/13 und 3 AZR 44/14).
Sachverhalt der Entscheidung vom 10.03.2015
Die Klägerin war von 1978 bis 2006 bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt. Bei der Einstellung galt eine Gesamtzusage zur betrieblichen Altersversorgung nach der Versorgungsordnung von 1976. Im Jahre 1982 wurde diese Gesamtzusage durch eine Betriebsvereinbarung abgelöst, die ab dem Ablösungsstichtag eine neue Bemessungsgrundlage zur Berechnung der Betriebsrente bestimmte. Eine zweite Änderung erfolgte 2002 durch eine Gesamtbetriebsvereinbarung, die eine Umwandlung der Rentenleistungen in Kapitalleistungen vorsah. Nach der Insolvenz des Arbeitgebers beantragte die Klägerin die Feststellung, dass ihre Ansprüche allein nach der bei Eintritt erteilten Gesamtzusage auf der Grundlage der Versorgungsordnung von 1976 zu ermitteln sind.
Die bisherige Rechtsprechung
Das Urteil des BAG setzt eine Reihe von Urteilen fort, die sich mit der Frage der Ablösungsmöglichkeiten von Versorgungszusagen beschäftigen. Zum besseren Verständnis ist daher die Entwicklung der Rechtsprechung kurz dargestellt.
Im Jahre 1986 hatte der Große Senat des BAG in einer Grundsatzentscheidung festgelegt, dass individualrechtliche Versorgungszusagen (vertragliche Einheitsregelung, Gesamtzusage, betriebliche Übung) durch Betriebsvereinbarung zu Ungunsten der Arbeitnehmer nicht verschlechtert werden können. Dies war nach der Rechtsprechung des Großen Senats nur in sehr eng gefassten Ausnahmen zulässig. Danach konnte eine auf individualrechtlicher Grundlage mit kollektivem Bezug beruhende Versorgungsordnung nur durch eine verschlechternde Kollektivregelung abgelöst werden, wenn in der einzelvertraglichen Rechtsgrundlage selbst eine Möglichkeit für eine kollektivrechtliche Verschlechterung eröffnet worden ist, sich die Neuregelung bei kollektiver Gesamtbetrachtung als nicht ungünstiger herausstellt oder eine wesentliche Störung der Geschäftsgrundlage vorlag. Dies führte in der Praxis dazu, dass einmal erteilte Gesamtzusagen kaum der Änderung und Anpassung an veränderte Bedingungen zugänglich waren.
Die neuere Rechtsprechung
Schon in seiner Entscheidung vom 18.09.2012 (3 AZR 415/10) hat das BAG seine neue Rechtsprechung zur Ablösung von einzelvertraglichen Zusagen begonnen. Dabei bestätigte das BAG zunächst, dass der Verweis im Arbeitsvertrag auf interne Versorgungsrichtlinien im Zweifel eine dynamische Verweisung darstelle. Darüber hinaus stellte es fest, dass mit einem solchen dynamischen Verweis („Jeweiligkeitsklausel“) die Möglichkeit einer späteren anderweitigen Regelung in jeder Form eröffnet sei, in der betriebliche Altersversorgung geregelt werden könne. Ein Verstoß gegen das AGB-Recht liege nicht vor. Der Arbeitgeber könne daher Änderungen vornehmen, die sich im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes bewegen.
Mit Urteil vom 05.03.2013 (1 AZR 417/12) hat der 1. Senat des BAG entschieden, dass grundsätzlich von einer Betriebsvereinbarungsoffenheit von individualrechtlichen Vereinbarungen auszugehen ist, wenn der Vertragsgegenstand in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelt ist und einen kollektiven Bezug aufweist. Mit dieser Entscheidung wurde die Möglichkeit der Ablösung durch Betriebsvereinbarung deutlich erweitert.
Einen weiteren Schritt hat das BAG in seiner Entscheidung vom 13.01.2015 vollzogen (3 AZR 897/12). Dort lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem es um die Altersgrenze einer Gesamtversorgungszusage auf der Grundlage einer Gesamtzusage ging. Diese Gesamtzusage hatte der Arbeitgeber in Abstimmung mit dem Personalrat mehrfach geändert. Die Entscheidung enthält zwei Schwerpunkte. Zum einen stellt das BAG fest, dass bei einer Gesamtversorgungszusage die Altersgrenze an die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung gekoppelt ist (vgl. hierzu die Urteilsanmerkung auf unserer Homepage vom 29.05.2015). Zum anderen hat das BAG bestätigt, dass ein Versorgungssystem aufgrund einer Gesamtzusage nicht erstarren dürfe und daher als dynamischer Verweis zu verstehen sei. In seinen weiteren Ausführungen nimmt das BAG dabei ausdrücklich Abstand von der bisherigen Rechtsprechung, die für eine Änderung einen ausdrücklichen Widerrufsvorbehalt voraussetzte.
Entscheidung vom 10.03.2015
Im Urteil vom 10.03.2015 hat das BAG zunächst nochmals bestätigt, dass eine Versorgungszusage im Wege der Gesamtzusage grundsätzlich eine Versorgung nach den jeweils beim Arbeitgeber geltenden Versorgungsregeln bedeutet. Die Versorgungsregeln können in jeder Form bestehen, mit denen betriebliche Altersversorgung gestaltet werden kann. Wenn ein Betriebsrat besteht, kann die Zusage daher auch durch eine Betriebsvereinbarung geändert werden. Soweit sich aus der bisherigen Rechtsprechung zum Vorbehalt eines vertraglichen Widerrufs etwas anderes ergibt, hält der Senat hieran ausdrücklich nicht fest. In jedem Fall muss die Neuregelung inhaltlich nach Maßgabe der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit anhand der 3-Stufen-Theorie geprüft werden.
Bewertung
Es ist erfreulich, dass Gesamtzusagen auch ohne einen ausdrücklichen Vorbehalt regelmäßig als betriebsvereinbarungsoffen betrachtet werden und somit auch reduzierend durch eine Betriebsvereinbarung abgelöst werden können. Die Möglichkeit einer ablösenden Betriebsvereinbarung bringt dem Arbeitgeber mehr Gestaltungsspielraum. Materiell müssen allerdings weiterhin die Vorgaben der 3-Stufen-Theorie beachtet werden. Es bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung auch eine einseitige Änderung der Gesamtzusage durch den Arbeitgeber anerkennen wird. In diese Richtung deutet das Urteil des BAG vom 23.02.2016 (3 AZR 960/13). In diesem Fall hat das BAG eine unwirksame Betriebsvereinbarung in eine Gesamtzusage umgedeutet und die spätere Änderung dieser Gesamtzusage einseitig durch den Arbeitgeber für zulässig erachtet. Auch hier sind jedoch die Vorgaben der 3-Stufen-Theorie zu beachten.
Darüber hinaus hat das BAG in einem weiteren Urteil vom 23.02.2016 (3 AZR 44/14) entschieden, dass die Rechtsprechung zur Ablösung von Gesamtzusagen auch für Versorgungsverpflichtungen aufgrund einer betrieblichen Übung gilt.
Stuttgart, den 17.05.2016
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